Es ist schon cool, sich im Film zu hören
LIMBURG - Den roten Teppich draußen hat Andreas umgangen. Jetzt, im gehobenen und stilvollen Ambiente des Little Kitchen in Limburg, genießt er die Premiere. Der Mann mit dem knallig-rotem Hemd und schwerer Sonnenbrille taucht immer wieder auf der Leinwand neben Starköchin Sarah Wiener auf. "Jetzt bist du im Bild. Du machst eine tolle Figur", flüstert ihm seine Nachbarin Andrea ins Ohr. Sie tätschelt seine Schultern. Ein Lächeln huscht über sein Gesicht. Andreas im Rampenlicht. Dabei sieht der 52-Jährige keine einzige Szene. Andreas ist blind - ohne Augenlicht - seit seiner Geburt. Wie andere einen Film sehen, hört er. Zuhause macht er das mit seiner großen DVD-Sammlung auch immer so.
Originelles Inklusions-Projekt
25 Darsteller sind am Montagabend, 9. März, ins Little Kitchen gekommen zum Filmdinner und der Premiere eines außergewöhnlichen Films. "All inclusive - Leben im Film" heißt das innovative und nach Angabe der Organisatoren bundesweit einzigartige Projekt, das Inklusion und Kochen originell miteinander verbindet. Gehörlose, seh-, geistig- und körperbehinderte Menschen hat das Bistum Limburg, die Lebenshilfe Limburg/Diez und die katholische Erwachsenenbildung mit Menschen ohne Behinderung und Promiköchin Wiener zusammengebracht. Das Ergebnis: Ein Drei-Gänge-Menü und Monate später ein Film, der bewegt und aufrütteln will.
Einen Tag lang wurde im Juli 2014 miteinander gekocht. Vier Kameras haben das Kochereignis festgehalten. Schälen, schneiden, würfeln, blanchieren und dünsten: In drei Gruppen zu je acht Personen wurden eine Brokkolicremesuppe, Spaghetti mit Gemüse und eine raffiniert angerichtete Quarkspeise zubereitet. Abgestimmt auf die Essenszeiten im Film gibt es das nun auch bei der Premiere.
Natürlichkeit von Promiköchin Wiener begeistert
Auf der Leinwand hat Promiköchin Wiener alles im Griff: Erklärt mit viel Geduld, was beim Umgang mit Lebensmitteln und beim Kochen wichtig ist, verrät Tipps und Tricks, vor allem aber nimmt sie sich Zeit für die Menschen mit Behinderung. Diese Natürlichkeit Wieners erkennt Andrea Schilling im Film wieder: "Ich war begeistert, wie sie mit den Leuten umgangen ist", erinnert sich die Heilerziehungspflegerin, die Andreas in einer Caritas-Einrichtung für Menschen mit Behinderung in Nauort bei Neuwied betreut. Wiener habe überhaupt keine Berührungsängste gehabt, sich Andreas an ihre Seite geholt, ihm alles erklärt und dessen Handicap ausgeglichen. Nicht einmal ihr, sagt die 28-Jährige, ist der Gedanke gekommen, dass das nicht funktionieren kann.
Der Film, der nun mitsamt Bonusmaterialien und eigens komponiertem Soundtrack erworben werden kann, zeigt nicht nur ein außergewöhnliches Kochprojekt. Wer ihn sieht, erlebt, wie wichtig Teamwork, Rücksichtnahme und Kommunikation ist. Die Zuschauer bekommen schnell eine Intuition, dass Inklusion weit mehr bedeutet, als Menschen mit und ohne Behinderung in der Schule in einen Raum zusammenzubringen. Teilhabe und Partizipation kann nur gelingen, wenn Berührungsängste überwunden werden und man sich auf den anderen ehrlich einlässt. Im Film gelingt dies spielerisch und einfach. Bei der Premiere wird viel gelacht. Gerade wegen vieler kurios-komischer Szenen, die vermeintlich Selbstverständliches auf humorvolle Art und Weise in Frage stellen und Vorurteile - auch die, die behinderte Menschen übereinander haben - entlarven.
Folgeveranstaltungen sind angedacht
Dass das von der Aktion Mensch geförderte Projekt weite Kreise zieht, hofft Jochen Straub, Leiter des Referats Seelsorge für Menschen mit Behinderung im Bistum Limburg. "Ich wünsche mir, dass der Film von Hamburg bis München in Schulen, in Pfarrzentren, in Begegnungsstätten, bei Tagungen und Kongressen gezeigt wird und Menschen auf leichte Art und Weise über Inklusion ins Gespräch kommen und das beim Kochen und Essen auch leben." 250 DVD-Pakete haben die Projektpartner in einer ersten Auflage produzieren lassen. Eine zweite mit Untertitel für Hörgeschädigte soll es bald geben. Etwa 20 Folgeveranstaltungen - zum Beispiel mit Schulklassen - sind angedacht, sagt Bernd Weil von der Katholischen Erwachsenenbildung.
Für Andreas spielt das keine so große Rolle. Er hatte beim Kochen und auch bei der Premiere viel Spaß gehabt. Mit dem Projekt kann er daheim jetzt etwas angeben, meint Andrea. "Ich habe total viel gesprochen und mich laut und deutlich gehört", sagt Andreas nicht ohne etwas Stolz über sein filmisches Debüt. "Es ist schon cool, sich in einem Film zu hören." (CLM)
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Das DVD-Paket "All inclusive - Leben im Film" (Film und Bonusmaterial) sowie die Soundtrack-CD "Inklusive Tafelmusik" kann im Referat Seelsorge für Menschen mit Behinderung bestellt werden.
Kontakt:
Bischöfliches Ordinariat Limburg
Referat Seelsorge für Menschen mit Behinderung
Roßmarkt 4
65549 Limburg
06431/295-581